Deutschlands populistischer Aufstand gegen die Abriegelung – Spiked
The ‘Freedom Day’ protesters are challenging far more than the Covid restrictions.
Quelle: Germany’s populist revolt against the lockdown – spiked
Zehntausende versammelten sich am vergangenen Wochenende in Berlin, um den „Tag der Freiheit und das Ende der Pandemie“ auszurufen. Das Ereignis hätte nicht kontroverser sein können.
Eine Seite (die große Mehrheit der Kommentatoren und Politiker) bezeichnete die Demo als „gefährliche Entwicklung“. Die Demonstranten wurden als rücksichtslose Regierungshasser abgestempelt, die eine Gefahr für die Gesundheit anderer Menschen darstellten. Das Wort „Covidiots“ tauchte immer wieder auf (auch in einem Tweet der Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Saskia Esken). Regierungsminister Peter Altmeier forderte härtere Strafen für diejenigen, die gegen die Regeln der sozialen Distanz verstoßen.
Die Demonstranten hingegen sahen sich als „Freiheitskämpfer“ gegen „Diktatur“ und „Einparteienherrschaft“. Uneinigkeit herrschte auch über die Größe der Demonstration. Gab es 20.000 Teilnehmer, wie von der Polizei gemeldet? Oder gab es bis zu einer Million, wie die alternative, linksliberale Medienplattform Rubicon (die „Zeitschrift für die kritischen Massen“, wie sie sich selbst nennt) behauptete?
Ein Jahr bevor das Land an die Urnen geht, um eine neue Regierung zu wählen, ist das Coronavirus zum jüngsten Symbol im Kampf um Wahrheit und öffentliche Meinung geworden. Diejenigen, die zu Beginn der Krise glaubten, das Virus würde helfen, politische Spaltungen zu überwinden, hätten sich nicht mehr täuschen können. Selbst die oft wiederholte Behauptung, dass die Pandemie das Vertrauen in Angela Merkel und ihre große Koalitionsregierung wiederhergestellt hat, könnte sich noch als fehlerhaft erweisen.
Die Regierung ist durch neue Protestorganisationen unter Druck geraten. Michael Ballweg, ein IT-Spezialist, ist einer der Gründer von Querdenken. Stolz versprach er auf der Berliner Demo, dass er und seine Organisation hier bleiben würden. Er organisierte die Demonstration zusammen mit dem Busfahrerverband „Honk for Hope“, der dazu beitrug, Menschen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt zu bringen.
In einem klugen Schachzug hat Ballweg zudem angekündigt, dass er bei der Oberbürgermeisterwahl in seiner Heimatstadt Stuttgart im November dieses Jahres kandidieren will. In den Medienberichten werden seine Anhaenger als Spinner, Impfgegner und Rechts- oder Linksextremisten dargestellt. Das macht es unwahrscheinlich, dass er gewinnen wird. Natürlich ist auch die Angst vor dem Virus nach wie vor weit verbreitet. Aber seine Kandidatur wird die Dinge hoffentlich aufrütteln.
Vor der Berliner Demonstration gab er Rubicon ein Interview. Seine Skepsis gegenüber den Covid-Restriktionen der Regierung sei in den frühen Phasen der Abriegelung geweckt worden, da Wissenschaftler und Ärzte, die eine andere, weniger restriktive Linie verfolgt hätten, zunehmend ignoriert oder sogar zensiert worden seien: „Ich begann mich zu fragen, welche Möglichkeiten die Menschen haben, gegen Maßnahmen zu protestieren, mit denen sie möglicherweise nicht einverstanden sind, wenn nicht durch das Versammlungsrecht und die Redefreiheit“. Er ist auch der Meinung, dass wir als selbst denkende Bürger immer dann, wenn Faktenprüfer in sozialen Medien auftauchen, besonders genau hinschauen sollten, was abgewiesen wird. Seine Sorge ist nun, dass sich vorübergehend auferlegte Einschränkungen als dauerhaft erweisen. Die Pandemie ist vorbei, wenn die Menschen sagen, dass sie vorbei ist“, ist seine Protestlinie.
Es ist bezeichnend, dass eine Organisation wie Querdenken, die scheinbar aus dem Nichts entstanden ist, so viele Menschen mobilisieren kann – trotz all des Spottes in den Medien und der Drohungen von Politikern, die sie angezogen hat. Die Behauptung, dass die Regierung nur um die Gesundheit der Menschen besorgt sei, wäre glaubwürdiger, wenn ihre Reaktion auf ihre Kritiker nicht nach einem so etablierten Muster verlaufen wäre. Aufrufe zu mehr „Faktenprüfung“ und Appelle, sich an eine offiziell akzeptierte Linie zu halten, haben in den letzten Jahren fast jeden sozialen und kulturellen Konflikt begleitet.
Bereits 1966 beschrieb der renommierte Humanist und Anti-Nazi-Philosoph Karl Jaspers die deutsche Politik als von einer Parteienoligarchie beherrscht, die Kontrolle und Macht aufrechterhält. Das politische System der Nachkriegszeit, schrieb er, spiegele eine tief sitzende Angst vor dem Volk wider. Ja, die Bürger durften alle vier Jahre wählen, aber nur für Kandidaten, die von Mitgliedern der Parteihierarchie handverlesen wurden.
Hinzu kommt, dass ein System der Parteienfinanzierung sowie eine Fünf-Prozent-Hürde für alle Parteien bei allgemeinen Wahlen jede Herausforderung an die etablierte Oligarchie sehr schwierig gemacht haben. Die aktive Beteiligung des gefährlichen Volkes sollte auf ein Minimum beschränkt werden“, schrieb Jaspers in seinem Bestseller Wohin treibt die Bundesrepublik? In diesem System wurden die Bürger zu Untertanen.
Jaspers‘ Buch erschien im Jahr der ersten großen Koalition nach dem Krieg. Natürlich hat sich viel verändert, und seitdem sind mehrere neue Parteien erschienen. Doch nun, da das Regieren in der Großen Koalition fast zur Normalität geworden ist, scheint Jaspers‘ Theorie über eine politische Oligarchie, die die Politik zu beherrschen sucht, überraschend weitsichtig.
Vielleicht könnten die Proteste gegen die Covid-Beschränkungen der Beginn einer neuen populistischen Oppositionsbewegung für das gesamte Establishment sein. Auf jeden Fall sollten all diejenigen, die sich mehr Freiheit, ein Ende der Herrschaft der oligarchischen Parteien und mehr Respekt vor der Meinungsfreiheit wünschen, diese Entwicklungen in Deutschland mit Interesse verfolgen.