1. Niemanden zurücklassen – Ein neuer Gesellschaftsvertrag – Dr. Jacob Nordangård
Quelle: 1. Leave No One Behind – A New Social Contract | Pharos
In „Our Common Agenda“ zeichnet UN-Generalsekretär Antonio Guterres das Bild einer Welt, die vor der Wahl zwischen Zusammenbruch und Durchbruch steht. Wenn wir die falsche Wahl treffen, werden wir immer wieder von einem mutierenden Virus heimgesucht. Die Gesundheitssysteme werden dem Druck nicht standhalten können und die Impfstoffe werden ungleich verteilt sein. Der Planet wird sich aufheizen, was zu schmelzenden Polkappen, Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürmen, dem Aussterben von Tierarten und der Verschwendung von Menschenleben führen wird. Die Armut wird zunehmen, Proteste werden niedergeschlagen, die Menschenrechte werden vernachlässigt und die Entwicklung neuer Formen der Kriegsführung wird alle Friedensinitiativen verhindern.
Aber wenn wir uns für das Modell der UN und des Weltwirtschaftsforums entscheiden, wird uns das Paradies versprochen. Eine grünere, sicherere und bessere Welt mit einer schnellen Krisenreaktion, einschließlich eines Gesundheitssystems, in dem Impfstoffe für alle verfügbar sind, in dem fossile Brennstoffe auslaufen und die globalen Durchschnittstemperaturen in Schach gehalten werden, und in dem jeder das Recht auf einen digitalen Anschluss erhält, um lebenslang Zugang zu einer hochwertigen Bildung zu haben.
Die Argumentation ähnelt dem, was Klaus Schwab bei der Erklärung des „Great Reset“ zum Ausdruck brachte:
Wir haben die Wahl, passiv zu bleiben, was dazu führen würde, dass sich viele der Trends, die wir heute beobachten, verstärken. Polarisierung, Nationalismus, Rassismus und letztlich zunehmende soziale Unruhen und Konflikte. Aber wir haben auch eine andere Wahl: Wir können einen neuen Gesellschaftsvertrag schaffen, der insbesondere die nächste Generation einbezieht, wir können unser Verhalten ändern, um wieder im Einklang mit der Natur zu leben, und wir können dafür sorgen, dass die Technologien der vierten industriellen Revolution optimal genutzt werden, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen.
Alles, was wir tun müssen, ist, die Macht und unser Leben der UNO und ihrem Partner WEF zu überlassen und uns unter dem wachsamen Auge des digitalen Gottes integrieren zu lassen. Wie der geschätzte Umweltguru und häufige WEF-Teilnehmer Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung 2015 in einem Interview sagte:
Ich sehe keinen anderen Weg als den, dass 200 Länder einen Teil ihrer Entscheidungsgewalt an eine planetarische institutionelle Verwaltung abgeben müssen. Wir müssen mit den Institutionen arbeiten, die wir haben, und es gibt nur eine Institution, die global ist: die UNO. [1]
Um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen, müssen alle daran beteiligt sein. In „Unserer gemeinsamen Agenda“ lautet die erste Verpflichtung (von insgesamt zwölf): „Niemanden zurücklassen“. Dabei geht es um einen erneuerten Gesellschaftsvertrag zwischen Regierungen und Bürgern, der laut UNO auf den Menschenrechten beruhen sollte, einschließlich eines sozialen Sicherheitsnetzes mit Gesundheitsversorgung, Einkommenssicherheit, Wohnraum, Bildung und menschenwürdiger Arbeit. Wer kann dazu schon Nein sagen?
Bei näherer Betrachtung scheint es in dem Vertrag jedoch vor allem darum zu gehen, digital mit dem weltweiten Kontrollsystem verbunden zu sein, mit den „richtigen“ Werten erzogen zu werden, in einer „intelligenten Stadt“ mit allgegenwärtiger Überwachung untergebracht zu sein und ein universelles Grundeinkommen (UBI) zu erhalten – wenn man gehorsam alle widersprüchlichen Befehle der UNO befolgt.
Es ist ein Gesellschaftsvertrag für das digitale Zeitalter, in dem die Rechte und Pflichten der Bürger an die heutigen Bedürfnisse angepasst werden müssen, mit lebenslangem Lernen, einem „fairen und inklusiven“ Übergang zu einer kohlenstofffreien Gesellschaft und einem „verantwortungsvollen“ Umgang mit der Technologie, bei dem die Verbreitung „falscher“ oder unangenehmer Informationen verhindert werden muss. [2] Mit anderen Worten, es ist ein Vertrag, in dem Sie blind akzeptieren sollen, was die Regierung Ihnen vorschreibt, und in dem Sie von der Teilnahme an Gemeinschaftsdiensten und Finanzdienstleistungen ausgeschlossen werden, wenn Sie sich weigern oder eine andere Meinung haben.
Der Hintergrund dieses Vertrags geht auf das Jahr 2011 zurück, als der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltvränderungen (WBGU) das Gutachten „Welt im Wandel – Ein Gesellschaftsvertrag für Nachhaltigkeit“ veröffentlichte. Zuvor waren ähnliche Fragen auf der Konferenz „Die große Transformation – Klimawandel als Kulturwandel“ in Essen im Jahre 2009 diskutiert worden. Im Mittelpunkt standen dabei der Papstberater Hans Joachim Schellnhuber, damals Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, und Nebojsa Nakicenovic vom Internationalen Forschungsinstitut IIASA. In dem Bericht heißt es dazu:
Nimmt man all diese Herausforderungen des bevorstehenden Wandels zusammen, so wird deutlich, dass die anstehenden Veränderungen weit über technologische und technokratische Reformen hinausgehen: Das Geschäft der Gesellschaft muss auf einer neuen „Geschäftsgrundlage“ basieren. Tatsächlich geht es um einen neuen globalen Gesellschaftsvertrag für ein kohlenstoffarmes und nachhaltiges globales Wirtschaftssystem. Er basiert auf dem zentralen Gedanken, dass Individuen und Zivilgesellschaften, Staaten und die globale Staatengemeinschaft sowie Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam die Verantwortung für die Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels und die Abwendung anderer Bedrohungen für die Menschheit als Teil des Erdsystems tragen. Der Gesellschaftsvertrag festigt eine Kultur der Achtsamkeit (aus ökologischem Verantwortungsbewusstsein), eine Kultur der Partizipation (als demokratische Verantwortung) und eine Kultur der Verpflichtung gegenüber künftigen Generationen (Zukunftsverantwortung).
Ein neuer Gesellschaftsvertrag („The New Social Covenant“) zwischen Bürgern, Gesellschaft und Unternehmen wurde 2014 auch vom „Global Agenda Council on Values“ des Weltwirtschaftsforums vorgeschlagen, nachdem er auf der Jahrestagung 2013 initiiert worden war. [3] Das Projekt, das als Reaktion auf die wachsende Besorgnis über zunehmende Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen und unzureichende globale Governance ins Leben gerufen wurde, wurde eng mit dem „Global Compact“ der Vereinten Nationen abgestimmt und von der britischen Großbank Barclays gesponsert. Dazu gehörte auch die Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften „Young Global Leaders“ und „Global Shapers“ des Forums.
Der Pakt basierte auf drei Grundprinzipien: Förderung des Gemeinwohls, der Menschenwürde und der Bewirtschaftung des Planeten. [4] Er war in geringem Maße auf die technologischen Lösungen (4IR) ausgerichtet, die während des Jahrestreffens 2016 vorgestellt wurden. [5] Dies sollte sich jedoch schnell ändern, wie in den folgenden Jahren deutlich wurde. Klaus Schwab betonte in seinem Buch „Shaping the Fourth Industrial Revolution“ aus dem Jahr 2018, dass die neue Technologie mit Werten wie Gerechtigkeit, Würde und Gemeinwohl in Verbindung gebracht werden müsse [6].
Die vierte industrielle Revolution würde dazu genutzt, eine „bessere“ und „gerechtere“ Gesellschaft zu schaffen. Johan Rockström erläuterte auf der Jahrestagung 2018, was dies bedeutet:
Der Grund dafür ist einfach: In den nächsten drei Jahrzehnten wird die vierte industrielle Revolution, angetrieben durch künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und das Internet der Dinge, das Leben aller Menschen verändern. Im Moment ist die Richtung dieses Wandels noch unklar. Wir müssen sicherstellen, dass dieser Wandel zu einer wohlhabenden und widerstandsfähigen kohlenstofffreien Zukunft führt. (Johan Rockström)
Im selben Jahr wurde der Bericht „Identity in a Digital World: A new chapter in the social contract“ des Weltwirtschaftsforums veröffentlicht, in dem die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft in einer digitalen Welt analysiert wurde. Darin wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass eine digitale Identität ein zentraler Bestandteil der Verwirklichung des Gesellschaftsvertrags sei [7].
… digitale Identitäten können dazu beitragen, die Zukunft von Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt zu verändern, indem sie ihnen den Zugang zu neuen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Möglichkeiten ermöglichen und gleichzeitig digitale Sicherheit, Privatsphäre und andere Menschenrechte genießen.
Hinter dem Bericht standen Unternehmen wie Accenture, Mastercard, Visa, Hyperledger, AT&T und Barclays zusammen mit u.a. Open Society, der Bill & Melinda Gates Foundation, UNDP, ID2020 und der Europäischen Kommission. Mehrere von ihnen spielen eine Schlüsselrolle beim Aufbau der Infrastruktur für das neue digitale Kontrollsystem.
Barclays Vertragsauslegung lässt sich dadurch veranschaulichen, dass im Jahr 2020 aufgedeckt wurde, dass das Unternehmen Spyware einsetzt, um zu überwachen, wie viel Zeit die Mitarbeiter an ihren Schreibtischen verbringen, und dann Warnungen zu senden, wenn sie längere Pausen einlegen [8]. In einer digitalen Welt gibt es große Möglichkeiten, alle Prozesse automatisch zu überwachen. Ich werde in späteren Beiträgen auf die digitale Identität und ihre Verbindung zum UN-Ziel Nr. 16, einer legalen Identität für alle, zurückkommen.
Bis 2025 schlägt Guterres einen Weltsozialgipfel vor, auf dem der neue Gesellschaftsvertrag diskutiert werden soll [9].
Ein solches Treffen wurde im Oktober 2020 vom Club of Madrid/World Leadership Alliance vorgeschlagen. Diese Denkfabrik, die sich aus ehemaligen Staats- und Regierungschefs zusammensetzt und „zur Stärkung der demokratischen Führung und der institutionellen Kapazitäten zur besseren Bewältigung der großen globalen Herausforderungen beiträgt“, wird von Sloweniens ehemaligem Präsidenten Danilo Türk geleitet. Ein UN-Diplomat, der als Berater des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan tätig war und selbst für das Amt des Generalsekretärs kandidierte.
Auch hier wird die Pandemie als auslösendes Ereignis genannt. Wie es der Club of Madrid ausdrückt:
Die Pandemie hat die Ungleichheiten in Bezug auf Wohlstand, Geschlecht und Rasse offengelegt und wird den ersten größeren Rückgang des Index für menschliche Entwicklung seit über 30 Jahren zur Folge haben. Um einen globalen Aufschwung anzustoßen, der niemanden zurücklässt, fordern wir einen zweiten Weltgipfel für soziale Entwicklung [10].
Dem Club of Madrid zufolge hat die Pandemie „Chancen“ für eine internationale Zusammenarbeit geschaffen, die die Auswirkungen abmildern und einen „integrativen Aufschwung“ herbeiführen kann [11], und im Hintergrund hallt das bekannte Mantra „Build Back Better“ wider. Passenderweise ist Türk Mitglied des hochrangigen UN-Beratungsgremiums für effektiven Multilateralismus, was die Möglichkeit bietet, zu seinem eigenen Vorschlag Stellung zu nehmen. Dies gilt auch für die Co-Vorsitzende des Gremiums, Liberias ehemalige Präsidentin und Club of Madrid-Mitglied Ellen Johnson Sirleaf.
Der Vorschlag „Transforming Multilateralism for 21st Century Social Justice and Inclusion“ wurde wiederum von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Sarah Burke von der deutschen sozialdemokratischen Denkfabrik Friedrich-Ebert-Stiftung entwickelt und war eine Reaktion auf die Auswirkungen der Pandemie auf die Schwächsten der Gesellschaft [12]. Der Arbeitsgruppe gehörten neben Vertretern der Weltbank, der Brookings Institution, der Internationalen Arbeitsorganisation und der OECD auch die indische Wirtschaftswissenschaftlerin Jayati Ghosh (Professorin an der Massachusetts Amherst University) an. Sie ist auch Mitglied des UN-Panels.
Organisator war neben dem Club of Madrid die deutsche Bertelsmann Stiftung mit dem Weltwirtschaftsforum und der UNO als institutionellem Partner – wie immer müssen wir von denselben Kräften gerettet werden, die den Schaden verursacht haben. Noch deutlicher wird dies beim nächsten Ziel – dem Schutz unseres Planeten -, das ich im nächsten Beitrag behandeln werde.
Quellen und Verweise:
[1] Bolling, Anders (2015), ”Johan Rockström är miljörörelsens egen Piketty”, artikel i Dagens Nyheter 4 september 2015, https://www.dn.se/nyheter/sverige/johan-rockstrom-ar-miljororelsens-egen-piketty/
[2] Cramer, Aron (2022), ”Why we need a new social contract for the 21st century”, The Davos Agenda, World Economic Forum, https://www.weforum.org/agenda/2022/01/a-new-social-contract-for-21st-century/
[3] World Economic Forum (2013), Global Agenda Council on Values – A New Social Covenant, https://www3.weforum.org/docs/WEF_GAC_Values_2013.pdf
[4] World Economic Forum (2015), Toolkit on a New Social Covenant, Global Agenda Council on Values, http://anewsocialcovenant.org/static/pdfs/wef-new-social-covenant-toolkit-global.pdf
[5] World Economic Forum (2015), The New Social Covenant, Report, https://www3.weforum.org/docs/WEF_GAC_NewSocialCovenant_Report_2014.pdf
[6] Schwab, Klaus (2018), Shaping the Fourth Industrial Revolution, Portfolio Penguin
[7] World Economic Forum (2018), Identity in a Digital World – A new chapter in the social contract, https://www3.weforum.org/docs/WEF_INSIGHT_REPORT_Digital%20Identity.pdf
[8] Makortoff, Kayleena (2020), Barclays using ‘Big Brother’ tactics to spy on staff, says TUC, artikel i The Guradian 20 februari 2020, https://www.theguardian.com/business/2020/feb/20/barlays-using-dytopian-big-brother-tactics-to-spy-on-staff-says-tuc
[9] World Summit for Social Development hölls i Köpenhamn 1995.
[10] Club of Madrid (2021), Time for a second World Summit för Social Development. Lets leave no one behind after COVID-19, https://www.clubmadrid.org/time-for-a-second-world-summit-for-social-development-lets-leave-no-one-behind-after-covid-19/
[11] Club of Madrid (2020), Transforming Multilateralism For 21st Century Social Justice and Inclusion. Brief for Working Group On Social Justice and Inclusion, http://www.clubmadrid.org/wp-content/uploads/2020/11/Transforming-Multilateralism-for-21st-Century-Social-Justice-and-Inclusion-1.pdf
[12] Ibid.