April 24, 2024

Sie wissen schon: „Wir werden es nie erfahren“ – oder? – Edward Curtin

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Rezension von Adam Curtis‘ sechsteiliger Dokumentation „Can’t Get You Out Of My Head“

Quelle: You Know “We’ll Never Know,” Don’t You? – OffGuardian

In seiner neuen, sechsteiligen, mehr als siebenstündigen Dokumentation – „Can’t Get You Out of My Head: An Emotional History of the Modern World“ – erzählt der gefeierte englische Dokumentarfilmer Adam Curtis, der seit Jahrzehnten für die BBC arbeitet, dass nichts mehr Sinn mache und es …

… sinnlos ist, verstehen zu wollen, warum Dinge passieren.

Eine tiefgreifende Verschiebung in unserem Verständnis habe stattgefunden, sagt er uns gleich zu Beginn, und er fährt dann fort, diesen fragmentierten, unwissenden modernen Verstand zu replizieren, indem er uns einen endlosen Strom von Videobildern aus den BBC-Archiven zeigt, die von einem scheinbar unzusammenhängenden Thema zu einem anderen springen, um sein Argument zu unterstreichen.

Wie die Rezensentin Lucy Mangan vom „Guardian“ anerkennend schreibt, ist der Film „ein schillerndes, überwältigendes Erlebnis.“ Das stimmt, aber nicht in der Art und Weise, wie sie mit ihrer Fünf-Sterne-Bewertung zu betonen gedenkt. Der Film blendet und fasziniert zwar, aber im Sinne von verwirren oder in den Bann ziehen.

Aber zu welchem Zweck? Denn Curtis behauptet, dass es nirgendwo einen Sinn gäbe (nicht einmal in einer Rezension); wir alle lebten wie auf einem „Acid-Trip“; und wir würden nie erfahren, was zur Hölle in der Welt vor sich geht, weil … nun, weil es keine Logik für irgendetwas gibt und unsere Gehirne mit fragmentierten Erinnerungen, flüchtigen Bildern und paranoiden Gedanken durcheinandergewürfelt sind, genau wie der Film, den Curtis mit seiner nüchternen, sachlichen Stimme erzählt. Er muss nicht sagen, dass er cool ist und alle anderen verrückt sind. Der Stil ist der Mann selbst, wenn die autoritäre Stimme ruhig über dem ganzen Lärm spricht. Ganz BBC-mäßig.

„Alles ist relativ“, lautet die zugrundeliegende Botschaft, nur dass Curtis den Widerspruch in diesem postmodernen Mem nicht ausbuchstabiert: Alles ist relativ, aber nicht die Aussage, dass alles relativ sei. Sie ist absolut. Manche Menschen wissen es und andere nicht. Nächster Videoclip bitte.

Nachdem ich seinen Pastiche-Film gesehen hatte, der voll ist von seiner zwanghaft fragmentierten Skepsis über „eine Welt, in der alles alles sein könnte, weil es nirgendwo eine Bedeutung gab“, wurde ich an das erinnert, was ein berühmter Philosoph einmal in seiner „Kritik des reinen Grauens“ schrieb:

„Bei der Formulierung jeder Philosophie muss die erste Überlegung immer lauten: Was können wir wissen? Das heißt, was können wir sicher wissen, oder sicher sein, dass wir wissen, dass wir es wussten, wenn es überhaupt wissbar ist. Oder haben wir es einfach vergessen und ist es uns zu peinlich, das zuzugeben? Descartes deutete das Problem an, als er schrieb: ‚Mein Geist kann meinen Körper niemals kennen, obwohl er sich mit meinen Beinen recht gut angefreundet hat‘. Mit ‚wissbar‘ meine ich übrigens nicht das, was durch Sinneswahrnehmung erkannt werden kann, oder das, was vom Verstand erfasst werden kann, sondern eher das, von dem man sagen kann, dass es bekannt ist oder eine Bekanntheit oder Wissbarkeit besitzt, oder zumindest etwas, das man einem Freund gegenüber erwähnen kann.“

Wie Curtis‘ Titel sind mir diese tiefsinnigen Worte nie aus dem Kopf gegangen, weil sie auf ihre Weise immer den zugrunde liegenden Zeitgeist des letzten halben Jahrhunderts und noch mehr eingefangen zu haben schienen – die unausgesprochene Botschaft, die den neurotischen Skeptizismus unserer Zeit geprägt hat. Und im Gegensatz zu Curtis‘ Ernsthaftigkeit bringt mich Woody Allen wenigstens zum Lachen.

Curtis ist ein ernster Mann, und wenn er uns in Teil 1 sehr ernsthaft erzählt, dass Jim Garrison, der Bezirksstaatsanwalt von New Orleans, der als einziger jemals einen Prozess im Zusammenhang mit der Ermordung von Präsident John Kennedy angestrengt hat, ein Mann ohne Logik war, der einmal ein Memo an seine Mitarbeiter schrieb, in dem er sie aufforderte, unlogisch zu denken und einfach nach Mustern zu suchen, die auf „Zeit und Wahrscheinlichkeit“ basieren, dann möchte er, dass wir Garrison als einen verrückten, verschwörerischen Denker betrachten, der seltsame Muster sah, wo es keine gab; Garrison als einen gestörten Mann zu sehen, der eine Pastiche-Methode des Ausschneidens und Einfügens von disparaten, unverbundenen Fakten benutzte, um eine Verschwörungstheorie zu bilden, um Sie davon zu überzeugen, dass es versteckte Kräfte gab, die hinter der Fassade der amerikanischen Gesellschaft operierten.

In Anlehnung an das berühmte Memo der CIA an ihre Agenten und Komplizen in den Medien, den Ausdruck Verschwörungstheorie/-theoretiker zu verwenden, um ihre Kritiker lächerlich zu machen, erklärt Curtis dem Zuschauer so feierlich, dass solche verrückten Verschwörungstheorien und die Methode, wie sie zustande kommen, und ihre Behauptungen, es gäbe verborgene Kräfte, die hinter den Kulissen operieren, paranoider Unsinn sind und dass sie den modernen Geist infizieren würden. Das meiste von Garrisons Denken, sagt er, sei reine Fantasie und er könne keine Beweise für seine Behauptungen vorlegen. Mit anderen Worten: Lee Harvey Oswald hat Kennedy getötet, nicht die CIA.

Diese Behauptung ist faktisch falsch, aber sie wird zur Grundlage für die nächsten fünf Teile der Dokumentation. Und perverserweise ist der gesamte Dokumentarfilm mit der gleichen Methode des Ausschneidens und Einfügens, „time and propinquity“, Pastiche/Collage, die von Postmodernisten so geliebt wird, konstruiert, die Curtis Garrison vorwirft, eine Methode ohne Logik oder Bedeutung.

Dies ist kein Woody-Allen-Witz.

Es besteht kein Zweifel, dass Curtis sehr interessantes historisches Filmmaterial gefunden hat und präsentiert, das quer durch die Welt und die Zeit reicht. Er versteht es, ein Publikum zu fesseln und in emotionale und traumähnliche Erfahrungen von Angst und Paranoia hineinzuziehen. Während man zuschaut, spürt man, wie die Mauern näher rücken und schreckliche Katastrophen in den Schatten lauern, weil niemand die Kontrolle hat, denn Kontrolle ist eine Illusion. Man wird es nie wissen. Alles ist relativ.

Und doch gibt es viel zu lernen und zu bedenken aus seinem Filmmaterial. Aber Kontext ist alles, und die Stunden, die man mit dem Anschauen verbringt, führen zu Teil sechs, wenn Curtis zu Teil eins zurückkehrt, um den Knoten seiner „emotionalen Geschichte“ innerhalb dessen zu knüpfen, was der Schriftsteller George Trow einmal „den Kontext ohne Kontext“ nannte. Wir lernen etwas über Chaos- und Komplexitätstheorien, künstliche Intelligenz, multiple Persönlichkeiten, Drogen, darüber, wie Neurowissenschaftler und Psychiater behaupteten, es gäbe kein Bewußtsein, und dass die Menschen im Zeitalter des Individualismus zwar denken, sie seien Individuen, sich aber täuschen würden. Im digitalen Zeitalter tun die Menschen jetzt genau das, was Garrison vor fünfzig Jahren getan hat; jetzt erstellen sie Verschwörungstheorien aus Datenmustern im Internet und das alles sei eine Form von Wahnsinn.

Nebenbei bemerkt, sagt Curtis über die Anschläge vom 11. September 2001, dass „niemand sie kommen sah“. Das ist natürlich eklatant falsch, da die US-Regierung nicht überrascht war, wie sehr wohl bekannt und bestätigt ist, aber Curtis‘ Behauptung verstärkt die Idee, dass niemand gewußt habe oder wisse, was passieren wird, dass Inkompetenz die Norm sei, dass „nichts mehr Sinn macht“ und dass die offizielle Erzählung über 9/11 richtig sei, genau wie in Bezug auf die Ermordung von JFK, denn Jim Garrison, der Mann, der den Fall mutig und brillant früh erforschte, sei nur ein verrückter Typ gewesen, der an seltsame Zufälle glaubte. Und seine verrückte Art, die Punkte zu verbinden, hätte unsere heutige Welt infiziert. Wir bekommen ihn nicht mehr aus unseren Köpfen.

Als er uns schließlich in die Gegenwart holt, sagt uns Curtis, dass COVID-19 „eine Kraft war, die von völlig außerhalb der Machtsysteme kam.“ Na sicher doch! Trotz zahlreicher gegenteiliger Beweise lebten wir in einer Welt, in der die herrschenden Eliten dem Zufall ausgeliefert wären und wir lediglich denken, sie hätten die Kontrolle. Nein, das ist unsere Illusion. Shit happens. Nachdem man uns stundenlang gezeigt hat, wie korrupt die Eliten der Welt sind und alle möglichen hinterhältigen Dinge tun, um ihre Macht zu erhalten – sich also verschwören -, sagt man uns auch, dass es keine Verschwörungen gibt. Es gibt sie und es gibt sie nicht. Wir sind gefangen in einer wahnsinnigen Welt der Doppelbindungen, „einer Welt, in der alles alles sein konnte, weil es nirgendwo eine Bedeutung gab.“

Ich nehme an, das könnte auf diesen Film zutreffen. Aber nein, er ist sehr bedeutungsvoll – auf die Art, wie exquisite Propaganda eben ist.

Woody Allen kann urkomisch sein, aber Curtis ist selbst ziemlich lustig. Nachdem er uns über sieben Stunden lang erzählt hat, dass wir in einer Welt der Albträume leben, in der wir gefangen seien, und dass dieses Gefühl der Gefangenschaft etwas sei, das wir nicht aus unseren Köpfen bekämen, und dass wir alle verrückt werden, endet er damit, seinen Anfangstitel zu wiederholen, also die Worte des Anthropologen David Graeber:

Die ultimative versteckte Wahrheit der Welt ist, dass wir sie machen. Und genauso gut auch anders machen könnten.

Wirklich? Das wusste ich gar nicht …

Und Sie?

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